14. November 2015 Konzert in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin

Konzert des Landesjugendensembles Neue Musik Berlin Samstag, 14. November 2015, 20 Uhr, Tischlerei der Deutschen Oper Berlin

Musikalische Leitung: Gerhard Scherer und Jobst Liebrecht

Solistinnen und Solisten: Juri de Marco (Panoramahorn), Niva Eshed-Frenkel (lyrischer Koloratursopran), Eva Friedrich (Sopran), Katharina Löwe (Sopran), Karina Repova (Mezzosopran)

Programm:
Matthias Kaul (*1949): Konzert für Panoramahorn und Ensemble (UA, 2015)
Steve Reich (*1936): Tehillim (1981)
Jonas Kämper (*1998): the conclusion came late (UA, 2015)
Georg Katzer (*1935): La scuola dell’ascolto 2 (2014)
Ensemble: Ebenen 1 – Eine Kontakt-Improvisation (UA)
Jobst Liebrecht (*1965): An ordinary lesson (2015)

Ensemble: Elias Adelson, Katharina Althammer, Antoine Boecker, Peer Donath, Pia Duderstadt, Heinrich Eißmann, Vitus Guretzki, Jonas Kämper, Sören Klages, Raphael Kopp, Sebastian Lange, Leonie Lechle, Christoph Lindner, Jonathan Maier, Lilli Matzker, Lisa Mellin, Reiko Mori, David Osten, Felix Rastemborski, Luise Rastemborski, Max Raum, Malin Sieberns, Luca Staffiere, Charlotte Templin, Paula Tennstedt, Anton Thelemann, Viet Anh Tran, Katarina Vowinkel, Rebekka Wagner, Reto Weiche, Maxim Zhdanov

sowie: Maha Abbushi, Havin Aslan, Feline Babajanyan, Ammar Celik, Amraa Davaa, Ariunaa Davaa, Yahuda Düerkop, Paul Hatscher, Valentin Karow, Yildirim Kemal, Mathilda von Klot-Heydenfeldt, Lukas Kobert, Ylva Lafrenz, Leon Michael Loredo, Anatol Majoros, Kian Martin, Sajed Mehanna, Nikolaj Meyer, Max Morgenbesser, Paul Morgenbesser, Armajan Öztürk, Clara Rastemborski, Ahmed Remmo, Kate Retzlaff, Uschtrin Rifka, Alina Rügert, Anton Rügert, Nisa Sahin, Tiama Sarkis, Isabel Sava, Joseph Scheller, Valentin Schütz, Malena Sieper, Elena Marie Sosa Pérez, Chanel Taki, Jorina Tharmann, Hugo Thierbach, Jasper Thorwest, Emma Weigelt, Thomas Yilin Zhang 


Programmzettel der Deutschen Oper Berlin

Junge Musiker schon vor dem Hochschulstudium sowohl an die Werke der klassischen Moderne wie auch an die Werke der Gegenwart heranzuführen, war die wichtigste Motivation, die 2013 zur Gründung des Landesjugendensembles Neue Musik führte. Bereits zum dritten Mal kommt das Ensemble jetzt mit seinem Projekt in die Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Die beiden Initiatoren, die Komponisten und Performer Jobst Liebrecht und Gerhard Scherer, erarbeiten auch dieses Jahr mit den jugendlichen Instrumentalisten ein ungewöhnliches Programm mit zwei Uraufführungen und zwei Werken von lebenden Komponisten der älteren Generation.

Matthias Kaul, der für die Junge Deutsche Oper bereits ein Mobiles Musiktheater mit dem Titel KUCKUCK IM KOFFER geschrieben hat, schreibt im Auftrag des Ensembles ein neues kammermusikalisches Werk, in dem das Horn – Instrument des Jahres 2015 – eine große Rolle spielt. Von Jonas Kämper, Schüler des Gymnasiums Steglitz, kommt ein Werk zur Uraufführung, das bereits einen Preis gewonnen hat, "the conclusion camne late". Damit errang der junge Komponist den ersten Preis in der Kategorie der 16- bis 19-Jährigen beim luxemburgischen Wettbewerb "Artistes en Herbe".

Diesen Uraufführungen stehen zwei Kompositionen gegenüber, die von zwei knapp 80-jährigen Komponisten stammen, die gegensäztlicher nicht sein könnten: Steve Reich ist einer der profiliertesten amerikanischen Komponisten, denen das Label "minimalism" zugeschrieben wurde. Vom "free jazz" der 50er Jahre inspiriert kreierten diese Musiker einen neuen Klassikstil, der wesentlich auf Wiederholung und Variation kleinster musikalischer Motive basiert. Von Steve Reich wird TEHILLIM aufgeführt, ein vokalkammermusikalisches Werk, mit dem Reich 1981 mit Psalmtexten jüdische Überlieferung reflektierte. Stilistisch ganz anders verortet ist Georg Katzer, dessen Oper ANTIGONE ODER DIE STADT 1989 an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt wurde. Er gehört zur musikalischen "Avantgarde", zu den Komponisten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland wesentlich das bestimmten, was "Neue Musik" genannt wurde. "La scuola dell’ascolto" ("Die Schule des Hörens") spielt im Titel auf den Spätstil von Luigi Nono an, der sein letztes großes dramatisches Werk, PROMETEO, mit dem Untertitel "Tragedia dell’ascolto" ("Tragödie des Hörens" oder "Tragödie zum Hören") versah.


Die Komponisten über ihre Werke

Matthias Kaul zu Konzert für Panoramahorn und Ensemble

Die Idee, ein Blasinstrument mit mehreren Schalltrichtern zu versehen, ist nicht neu. Vielleicht ist nicht einmal der Name „Panoramahorn“ neu. Es ist auch nicht  neu, „unpassende“ Mundstücke für ein Instrument zu benutzen. Die Idee, ein Stück für Horn und andere Instrumente zu schreiben, ist auch nicht von mir und neu ist  so ein solches Vorhaben schon gar nicht. Also, es handelt sich bei diesem Stück um lauter durchaus gebräuchliche  Materialien,  die  allerdings in den heißesten Tagen dieses Jahres auf einander losgelassen wurden. Ich denke, das kann man hören. (Matthias Kaul, 2015)

Steve Reich zu Tehillim

TEHILLIM (ausgesprochen „Te-hill-lim“) ist das ursprüngliche hebräische Wort für „Psalme“. In der wörtlichen Übersetzung bedeutet es „Lob“ und stammt aus einer aus drei hebräischen Buchstaben bestehenden Wurzel, he, lamed, lamed (HLL), die ebenfalls die Wurzel des Wortes hallelujah ist.

(…)

Die Tamburine ohne Schellen sind vielleicht den kleinen Trommeln ähnlich, die in Psalm 150 und an mehreren anderen Bibelstellen (…) genannt werden. Händeklatschen wie auch Ratschen waren im ganzen Mittleren Osten während der biblischen Zeit gebräuchlich, ebenso wie kleine gestimmte Becken. Darüber hinaus gibt es in TEHILLIM keine musikhistorischen Inhalte. Keine jüdischen Themen wurden irgendwelchem melodischen Material zugrunde gelegt. Einer der Gründe, warum ich Psalme im Gegensatz zu Teilen der Torah oder der Propheten wählte, ist der Umstand, dass eine mündliche Überlieferung für das Singen von Psalmen unter den westlichen Juden verlorengegangen ist. (Die jemenitischen Juden haben sie bewahrt.) Das bedeutet, dass im Gegensatz zu der Singweise der Torah oder der Propheten, die seit 2500 Jahren in allen Synagogen der Welt mündlich überliefert wird, die Überlieferung für das Singen von Psalmen in den westlichen Synagogen verlorengegangen ist. Das heißt wiederum, dass ich frei war, Melodien zu komponieren, ohne eine lebendige, mündliche Überlieferung entweder nachzuahmen oder zu ignorieren.

Im Gegensatz zu den meisten meiner früheren Arbeiten ist TEHILLIM nicht in kurzen, sich wiederholenden Motiven komponiert. Obwohl eine ganze Melodie entweder als Gegenstand eines Kanons oder einer Variation wiederholt werden mag, ist diese Musk tatsächlich dem, was man in der gesamten Geschichte westlicher Musik findet, näher.

Während der vierteilige Kanon im ersten und letzten Satz manche Zuhörer vielleicht an meine frühen Tonbandstücke IT’S GONNA RAIN und COME OUT erinnern wird, die aus kurzen gesprochenen Phrasen, welche immer wieder in engem Kanon wiederholt werden, bestehen, macht TEHILLIM auf die meisten Zuhörer wahrscheinlich einen anderen Eindruck als meine früheren Werke. Es gibt kein festes Metrum oder metrische pattern in TEHILLIM wie in meiner früheren Musik. Der Rhythmus der Musik leitet sich direkt vom Rhythmus des hebräischen Textes ab und findet daher in flexiblen, ständig wechselnden Takten Eingang. Dies ist das erste Mal seit meiner Studienzeit, dass ich einen Text vertont habe, und das Resultat ist ein Stück, das auf Melodie im grundsätzlichen Sinne des Wirtes aufgebaut ist.

(Steve Reich, 1981)

Jobst Liebrecht zu An ordinary lesson – Hommage à Paul Hindemith

INTRADA – CHORUS – SINFONIA/CONCERTINO – THE TEACHER´S DANCE – THE FAREWELL

In dem Stück “An ordinary lesson” für Kammerensemble beziehe ich mich auf humoristische Weise auf die elementare Musiklehre des großen Komponisten-Pädagogen Paul Hindemith (1895-1963). Eine gewöhnliche (oder auch ungewöhnliche?) Schulstunde findet statt – vor dem inneren Auge/Ohr und auf der Bühne! (Jobst Liebrecht 2015)

Georg Katzer zu La scuola dell’ascolto 2 aus „Le scuole dell`ascolto 1 – 3“

In den Jahren 2014/2015 habe ich mehrere Stücke für junge Musiker komponiert, denen ich zusammenfassend diesen Titel gab. Das Ziel der Arbeiten war, junge Musiker an Neue Musik heranzuführen, sie vor durchaus anspruchsvolle Aufgaben zu stellen, ohne sie durch übernotierte Partituren zu verschrecken. Angedacht war vor allem in den Ensemblestücken das spieltechnische Niveau von Studienbewerbern. Spieltechnisch wird von ihnen schon einiges verlangt; ich konnte aber feststellen, dass durch die geduldige Arbeit von Dirigenten wie Gerhard Scherer, Jobst Liebrecht oder Jurij Lebedev die Werke erfolgreich aufgeführt werden konnten, zum berechtigten Stolz der jungen Musiker. Kompositorisch hatte ich mir bei allen Stücken die Aufgabe gestellt, mit einem begrenzten Tonvorrat auszukommen, was besonders in den größer angelegten Stücken wie dem Orchesterwerk deutlich ist. Es werden hauptsächlich nur vier Töne im Ambitus einer kleinen Terz verwendet und dazu noch ein Ton im Tritonusabstand. Randbemerkung: Diese obskur klingende Info ist für jene bestimmt, die mit (Bank-?) Noten umzugehen gewohnt sind, sie ist aber für das Musikverstehen nicht eigentlich wichtig. Ganz bewusst habe ich die Stücke mit die Spielfreude anfachendem rhythmischen Drive versehen und auf formale Extravaganzen verzichtet. Das Werk entstand im Auftrag der Musikschule Paul Hindemith Neukölln. (Georg Katzer 2015) 

Gerhard Scherer zu Ebenen 1. Eine Kontakt-Improvisation

Ebenen werden begangen und zum Klingen gebracht. Es begegnen einander durch Nutzung einfacher Gegenstände erzeugte Grundsounds und differenzierte Instrumentalklänge, erzeugt von hochbegabten und geübten jungen InterpretInnen. Die Klänge werden an den verschiedensten Stellen im Raum erzeugt, hoch oben, an den Seiten, weit hinten, ganz vorne, nah und fern. Sphärisches Gleiten erklingt ebenso wie grundständiges Wummern. Alle Klänge sind direkt und ganz nah am Menschen und aus ihm herausströmend. Alle folgen einem Ablaufplan und einem die Verläufe beeinflussenden Dirigat. Vage und unvorhersehbar bleibt dennoch vieles. Es handelt sich um ein Experiment, auch für das Landesjugendensemble Neue Musik Berlin und die mutigen Schüler der Moabiter Grundschule in der Paulstraße. (Gerhard Scherer 2015)

Jonas Kämper zu the conclusion came late 

Das Stück ist im Wesentlichen vom Begriff der Kausalität inspiriert. Das Werk beschäftigt sich in seinen ineinandergreifenden Abschnitten mit musikalischen Gedanken, die einander ablösen, ineinander verschmelzen, sich wiederholen, sich verwandeln und so eine strukturelle musikalische Kausalkette bilden. Diese lässt in ihrer Entwicklung eine Vielzahl an unterschiedlichen instrumentenspezifischen Klangfarben entstehen und löst sich schließlich in der Konklusion auf.  Der Titel erklärt sich also aus eben diesem oft schwerfälligen und zähen Prozess einer auf Zusammenhängen und Verbindungen basierenden musikalisch motivischen Entwicklung. (Jonas Kämper 2015)