Demokratie braucht Erinnerung
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner ist Schirmherr des Projekts „Musikalische Stolpersteine“. Die vom Landesmusikrat Berlin e.V. gegründete Initiative erinnert an Komponistinnen und Komponisten, die in der NS-Zeit verfolgt wurden. Am 1. Dezember empfing Kai Wegner im Roten Rathaus eine Schülergruppe, die sich mit der Biografie von Salo Siegfried Translateur beschäftigt – dem Komponisten des „Sportpalastwalzers“.
Der „Sportpalastwalzer“ gehört zum Sound des Sechstagerennens wie die „Berliner Luft“ zum Saisonabschluss der Berliner Philharmoniker in der Waldbühne: Doch während Paul Lincke als Schöpfer der „Berliner Luft“ bekannt ist, weiß heute kaum noch jemand, wer den „Sportpalastwalzer“ komponiert hat. Auch Kai Wegner hat dies nicht gewusst. Bis er durch das Projekt „Musikalische Stolpersteine“ von Salo Siegfried Translateur erfahren hat, der das Stück 1892 unter dem Titel „Wiener Praterleben“ geschrieben hatte. „Daran sieht man, wie großartig dieses Projekt ist“, sagt Wegner. „Ich kannte das Stück. Doch erst durch die ,Musikalischen Stolpersteine‘ habe ich erfahren, wer es komponiert hat.“
Die Jugendlichen am ovalen Tisch im Arbeitszimmer des Regierenden Bürgermeisters hören aufmerksam zu. Dass Kai Wegner, vermittelt durch ihr Projekt, etwas Neues gelernt hat, beeindruckt sie. Es sind Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse der Wolfgang-Borchert-Schule in Berlin-Spandau. Im Musikunterricht bei Henning Wehmeyer erarbeiten sie die Biografie von Salo Siegfried Translateur, beschäftigen sich mit dessen Werk und werden gemeinsam mit Redakteur:innen von rbb radio 3 einen Podcast dazu erstellen. Als 10. Folge der Reihe „Musikalische Stolpersteine“ wird der Podcast Anfang des kommenden Jahres in der ARD Audiothek und über die berlinHistory App zu hören sein.
Salo Siegfried Translateur wurde am 19. April 1943 zusammen mit seiner Frau Meta aus Berlin-Wilmersdorf ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Beide starben als Opfer des Holocaust. Salo Siegfried Translateur am 1. März 1944, Meta Translateur am 20. Dezember desselben Jahres.
Warum Kai Wegner die Schirmherrschaft für das Projekt „Musikalische Stolpersteine“ übernommen habe, wollen die Schülerinnen und Schüler wissen. Wegner antwortet sehr persönlich und erreicht die Jugendlichen sofort. Er erzählt vom eigenen Lern- und Erfahrungsprozess, dem Besuch als Schüler in einem ehemaligen Konzentrationslager, den Begegnungen mit Überlebenden und Zeitzeugen wie gerade anlässlich einer Feier zu Ehren von W. Michael Blumenthal, dem Gründer des Jüdischen Museums und Ehrenbürger Berlins. Über die abstrakte Vermittlung von Wissen hinaus sei es gerade die Beschäftigung mit persönlichen Biografien, die das Projekt „Musikalische Stolpersteine“ so wertvoll mache.
„In diesen Zeiten, in denen wir wieder Antisemitismus erleben, ist es besonders wichtig, dass sich die junge Generation mit den persönlichen Schicksalen auseinandersetzt, damit so etwas nie wieder passiert.“
Gerade am Beispiel verfolgter und ermordeter Komponisten und Komponistinnen werde deutlich, wie menschenverachtendes Denken die Demokratie bedrohe.
„Berlin ist die Stadt der Freiheit – und ich möchte, dass Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker das erschaffen können, was sie wollen, und dies in einem freien, demokratischen Land. Es gibt immer mehr autokratisch regierte Länder, in denen Demokratie und Freiheit zurückgedrängt werden. Demokratie wird von außen, aber auch von innen zerstört.“
Wegner verweist auf die Angst, die wieder Einzug in Schulen und Universitäten gehalten habe. „Ich möchte nicht, dass jüdische Schülerinnen und Schüler und Studierende Angst haben, zur Schule zu gehen oder Hörsäle zu betreten. Egal, woher jemand kommt, egal, was jemand glaubt: Berlin ist eine vielfältige, eine bunte Stadt. Und das macht Berlin auch so stark.“
Seine Bitte an die Jugendlichen: „Tragt das, was ihr in diesem Projekt lernt, weiter, an eure Freundinnen und Freunde. Es geht nicht allein um die Vergangenheit, es geht um eure Zukunft.“
Die Initiative „Musikalische Stolpersteine“, vor Kurzem auch Thema einer gleichnamigen Konferenz in Berlin, wird voraussichtlich auch von anderen Bundesländern aufgenommen, wie Hella Dunger-Löper, die Präsidentin des Landesmusikrats Berlin e.V. abschließend berichtet.
Ansprechpartnerinnen:
Anna Gerhards
Projektleiterin Musikalische Stolpersteine
E-Mail:
Christina Bylow
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Landesmusikrat Berlin e.V.
E-Mail:
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